22.06.2025

Taiwan Today

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Tuschsteine Liebhaberei

01.01.1989

蘇軾夔紋硯

Bild 3: Der älteste Tuschstein in Lin Po-shous Sammlung - einst im Besitz des Sung Scholaren Su Shih.

Alle Kalligraphen träumen davon, in den Besitz zumindest eines wertvollen alten Tuschsteines als ästhetisches Bindeglied zu den literarischen Meistern der Vergangenheit zu gelangen. Für Sammler chinesischer Antiquitäten kann eine Kollektion ohne repräsentativen Tuschstein von entsprechender Qualität und Altertumswert kaum als vollständig gelten. Der ideelle Wert solcher Steine steigt noch, wenn sie aus dem Besitz bekannter Persönlichkeiten der Literatur- oder Kunstszene stammen und von diesen mit Inschriften versehen worden waren.

Solch Sehnsüchte sind jedoch nicht leicht zu erfüllen. Antike Tuschsteine mögen vielleicht nicht ausgesprochen selten sein, solche mit wertvollen Inschriften wiederum sind jedoch nicht leicht zu finden. Und gerade jene sind es, denen Kalligraphen und Sammler mit größter Leidenschaft nachjagen. Wie ein altes chinesisches Sprichwort sagt: "Mönche gibt's viele, doch bescheiden ist der Reistopf (ursprünglich: Reisgrütze)" - so kommen nur wenige Glückliche in den Besitz eines wirklich wertvollen Tuschsteins.

Es ist daher ausgesprochen außergewöhnlich, daß ein einzelner Sammler mehr als hundert hervorragende Tuschsteine besitzt, von denen jeder aus dem ehemaligen Besitz bedeutendster chinesischer Literaten der letzten 500 Jahre stammt und auch deren Inschriften trägt. Die Vollständigkeit, die hier von einem privaten Sammler erreicht wird, wird von den Museen tatsächlich nicht erbracht. So setzt sich die Kollektion des verstorbenen Lin Po-shou (林伯壽) aus den allerfeinsten Arten von Tuschsteinen aus Chinas letzten zwei Dynastien, der Ming und Ch'ing, sowie aus den frühen Jahren der Republikszeit zusammen. Allein von der Qualität der Tuschsteine her gesehen, würden sie in jedem Museum von Weltruf voll Stolz in einer Glasvitrine ausgestellt werden. Ihr erstklassiges Design und die Inschriften machen ihren Wert schier unschätzbar. Es ist klar, daß diese Sammlung von einem außergewöhnlich kenntnisreichen - und wohlhabenden - Liebhaber zusammengetragen worden war.

Lin Po-shou wurde als vierter Sohn von Lin Wei-yüan (林維源), einem Staatsbeamten und einflußreichen Kaufmann zur Regierungszeit des Kaisers Kuanghsü (光緒), im Jahre 1895 in Chinas südlicher Provinz Fukien geboren. Als eine der wohlhabendsten Familien zum Ende der Ch'ing Dynastie, wanderten einige Mitglieder der Lin Familien im 19. Jahrhundert nach Taiwan aus, wo sie großen Einfluß auf Taiwans Politik, Kultur und Wirtschaft ausübten und sogar den Bau der Stadtmauer von Taipei mitfinanzierten. Zu jener Zeit schuf sich die Familie auch eine ausgedehnte Liegenschaft in Taipeis Pan-ch'iao Bezirk, die vor einigen Jahren der Stadt Taipei gestiftet wurde. Nachdem die Renovierungsarbeiten 1986 abgeschlossen waren, wurde das Anwesen als Museum der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Neben seiner traditionellen chinesischen Erziehung studierte Lin auch in England, Frankreich und Japan. Als begabter Schriftsteller und Essayist reiste er nach Abschluß seiner Ausbildung oft zwischen Tokyo, Shanghai, Taiwan und Hongkong. Sein Interesse am Sammeln chinesischer Antiquitäten ist jedoch in erster Linie auf familiären Einfluß zurückzuführen. Ch'en Wang-ts'eng (陳望曾), ein Onkel mütterlicherseits, war als Beamter der Ch'ing Dynastie eine Zeitlang als Gouverneur der Provinz Kuangtung tätig. Durch seine hohe Stellung als Regierungsbeamter hatte er regelmäßigen Kontakt mit anderen wohlhabenden und einflußreichen Kollegen, von denen einige Sammlungen chinesischer Antiquitäten besaßen. Ch'en, der seinen klugen und wohlerzogenen Neffen sehr schätzte, nahm Lin oft zu seinen Besuchen bei verschiedenen Sammlern mit.

Lin selbst sagte einmal über diese Ausflüge mit seinem Onkel: "Ich hatte die einmalige Gelegenheit, mit bekannten Sammlern jener Zeit zu verkehren und ihre Kollektionen antiken Porzellans, antiker Kalligraphien und Gemälde etc. zu besichtigen." Das war wirklich eine seltene Gelegenheit, zumal zu jener Zeit Sammler ihre schönsten Stücke kaum einmal ihren eigenen Familienangehörigen zeigten, geschweige denn Außenstehenden.

Den wohl bedeutendsten Einfluß auf Lins Interesse am Antiquitätensammeln übte die Besichtigung der Tuschsteinsammlung K'ung Kuang-t'aos (孔廣陶) aus, einer der bedeutendsten Sammler seiner Zeit, zu der ihn sein Onkel mitgenommen hatte. In K'ungs Haus befand sich ein eigener Raum, "Studio der Zwölf Tuschsteine" genannt, in dem ein Dutzend wertvoller Tuschsteine ausgestellt waren. Zum ersten Mal stand der junge Lin einer solch großartigen Kollektion gegenüber. Die altertümliche Schönheit, das verwegene und doch elegante Design, sowie die flüssigen kalligraphischen Schriftzüge der die Oberflächen schmückenden Inschriften, flößten ihm tiefe Ehrfurcht ein. Der Gedanke, selbst Sammler zu werden, ward in ihm geboren und in den folgenden Jahrzehnten erblühte sein Fachwissen zu erstklassigem Kennertum. Obwohl Herr Lin später eine beachtliche Sammlung an Gemälden, Siegeln und Porzellan zusammentrug, so widmete er dennoch den Tuschsteinen sein Hauptaugenmerk. Bezeichnenderweise schaffte er es, fünf der zwölf Tuschsteine aus K'ungs berühmter Sammlung für seine eigene Kollektion zu erstehen.

Lin führte keinen aufwendigen Lebensstil; seine Sparsamkeit bescherte ihm vielmehr den Titel eines "einfachen Menschen aus gutem Hause." Wenn es aber darum ging, wertvolle Tuschsteine einzukaufen, so investierte er je nach Bedarf vorbehaltlos aus dem Familienvermögen. Lin Hsiung-kuang (林熊光), sein Neffe und ebenfalls ein bekannter Sammler mit Vorliebe für Tuschsteine, war bei der Zusammenstellung der Kollektion für Lin Po-shou von großer Hilfe. Die Tuschsteine waren gemeinsam mit seinen anderen Kunstschätzen in einem eigenen Studio, dem Lan Ch'ien Shan Kuan (蘭千山館), auf dem in Taipeis Vororten gelegenen Yangming Berg untergebracht.

Verständlicherweise haben nur wenige Menschen Zugang zu wertvollen Sammlungen. Deshalb wurden in den letzten Jahrzehnten mehrere Werke über berühmte Tuschsteinkollektionen publiziert, um einem weiteren Kreis an Kennern den Zugang zu erleichtern. Als bekanntestes darunter gilt das unter Auftrag des Ch'ing Kaisers Ch'ien-lung (1736-1795) zusammengestellte Hsi Ch'ing Yen P'u (西清硯譜). Dieser Tradition folgend, den Zugang zu Kollektionen zumindest in dieser Ersatzform zu ermöglichen, ließ Lin 109 seiner schönsten Tuschsteine ablichten, Abreibungen der Inschriften herstellen und vom damaligen zweiten Kurator des Nationalen Palastmuseums für jedes Stück eine detailierte Beschreibung verfassen. Das so entstandene Buch publizierte Lin 1966 im Eigenverlag in beschränkter Auflage für den japanischen Markt. Die Bücher wurden von den japanischen Sammlern in kürzester Zeit aufgekauft, und wenn heute von Zeit zu Zeit eine Kopie in ,einem japanischen Buchladen auftaucht, so kann sich ihr Preis durchaus mit dem antiker Bücher messen.

Aufgrund seines unschätzbaren Wertes entschloß sich das Nationale Palastmuseum, eine überarbeitete Neuausgabe dieses Werkes zu publizieren, um einer größeren Schicht an Interessenten den Zugang zu dieser einzigartigen Kollektion zu eröffnen. Die Tuschsteine wurden nochmals, jedoch diesmal in Farbe und nicht schwarz-weiß wie in der Originalausgabe, photographiert. Das Buch erschien Ende 1987, nach Lin Po-shous Tod, posthum auf dem Markt.

Die Mehrzahl der Tuschsteine in Herrn Lins Kollektion ist dem Tuanhsi-Typus zuzurechnen, wenn auch Hsichou, Yaoho, Ch'eng-ni, Porzellan, Dachziegel und andere Stilvarianten mit guten, repräsentativen Stücken vertreten sind. Die Sammlung ist reich an Vielfalt in Farben und Formen, und eine beachtliche Anzahl der Tuschsteine entstammt hervorragender handwerklicher Meisterhand. Der größte Teil der Tuschsteine trägt mehr als eine Inschrift, gewöhnlich die des Herstellers, des ursprünglichen Besitzers und eines späteren Sammlers; sehr oft handelt es sich dabei bei allen dreien um beachtliche Berühmtheiten ihrer Zeit. Einige Steine tragen sogar Inschriften chinesischer Kaiser.

Ts'ai Mei-fen (蔡玫芬), eine Expertin für Tuschsteine im Nationalen Palastmuseum, sagt über die Sammlung: "Verglichen mit Herrn Lins Kollektion, ist die unsrige im Nationalen Palastmuseum bei früheren Perioden, vor der Ming- Dynastie, besser bestückt, über Exemplare aus der Ming und Ch'ing, speziell nach Kaiser Ch'ien-lung, verfügen wir jedoch nur in beschränkter Anzahl. Für diese Periode ist Herrn Lins Sammlung herausragend. Außerdem, was Stücke aus der frühen Ch'ing Dynastie, speziell aus der Zeit Ch'ien-lungs betrifft, besteht die Sammlung des Nationalen Palastmuseums fast ausschließlich aus Werken der kaiserlichen Werkstätten, wogegen Herrn Lins Sammlung über eine breitere Skala an Werken berühmter Handwerker jener Zeit aus ganz China verfügt."

黃任銘瓜瓞硯

Bild 1: Ein Tuanhsi-Tuschstein in Melonenform, der an der Rückseite (siehe Photo oben) eine Inschrift des Ch'ing Gelehrten Huang Jen trägt.

In der Ch'ing Dynastie bestand sehr große Nachfrage nach guten Tuschsteinen und der Kaiser selbst forderte eine beachtliche Anzahl davon als Tribut. Für jene, die in der Beamtenlaufbahn nicht reüssieren konnten, war ein hochqualitativer Tuschstein aus Tuanhsi nicht leicht zu erstehen. Wer konnte wohl in einer besseren Position gewesen sein, um für sich selbst die besten Tuschsteine zu requirieren, als jene Beamten, die zur Überwachung des Abbaus, der Herstellung und Verarbeitung von Tuschsteinen im Gebiet Tuanhsi eingesetzt waren? Etliche Tuschsteine aus Lins Kollektion waren früher im Besitz solcher Beamten und tragen auch deren Inschriften. Insgesamt sieben Tuschsteine aus Lins Sammlung tragen den Namen von Huang Jen (黃任), der die Produktionsoberaufsicht zu Beginn des 18. Jahrhunderts innehatte. Das stellt übrigens, was die Inschrift einer einzigen Person auf mehreren Tuschsteinen betrifft, den Rekord in Lins Sammlung dar.

Abgesehen von seiner Beamtentätigkeit war Huang ein anerkannter Poet und Essayist und zeigte bei seiner Auswahl an Tuschsteinen einen ausgezeichneten Geschmack. Ein besonders schönes Stück aus Lins Kollektion ist ein mit viel Geschick gestalteter, mit der Tintenreibfläche in Melonenform, ferner mit Blättern und Ranken verzierter Tintenstein (siehe Bild 1). Typisch für das Lebensgefühl der Scholaren jener Zeit liest sich Huangs Inschrift auf der Rückseite des Steines:

Eine ruhige Natur aufrechterhalten,
Den Weg der Tugend beschreiten;
Entschlossenheit und Edelmut den Mitmenschen gegenüber
walten zu lassen;
und Bücher, Essays und gute Musik zu schätzen.
- datiert im dritten Monat des zweiten Jahres der Regierungsepoche von Kaiser Yungcheng (1725).

Obwohl gewöhnlich nur gewisse Steinarten zur Herstellung von Tuschsteinen in Gebrauch waren, so schloß dies dennoch nicht künstlerische Neuerungen in der Materialauswahl aus. In Lins Kollektion finden wir die bezüglich zwei ungewöhnliche, aber äußerst bemerkenswerte Beispiele.

Der am linken Rand abgebildete Tuschstein gehörte dem aus der Ch'ing Dynastie stammenden Politiker und Gelehrten Weng Fang-kang (翁方綱 1733- 1818), der unter Kaiser Ch'ien-lung die Stellung eines Vizeministers des Kaiserlichen Hofsekretariats innehatte. Der an der Rückseite eingeritzten Inschrift zufolge, fand Weng den Stein im Schlamm eines ausgelassenen Teiches. Von seiner außergewöhnlichen Färbung begeistert, ließ er ihn zum Tuschstein fertigen. Ein ähnliches Beispiel ist jener Stein, der die Inschrift von Huang Yi (黃易, 1744-1802) trägt, einem der berühmten "Acht Meister der Hsi Leng Siegelschnitzer" (西冷印社), der selbst als Fachmann der Malerei und Siegelschnitzerei galt. Huang kam während eines dienstlichen Aufenthaltes in der Provinz Shantung zu diesem Stein. Obwohl er zugegebenermaßen nicht aus einer der berühmten Tuschsteinminen stammt, so macht ihn seine gesprenkelte rote Färbung äußerst attraktiv und zu einem sehr seltenen Exemplar.

顧二娘製蕉葉硯

Bild 2: Der von der berühmten Kunsthandwerkerin Ku Erh-niang in der Ch'ing Dynastie gefertigte "Bananenblätter"-Tuschstein.

Einer der berühmtesten Künstler der frühen Ch'ing Zeit war tatsächlich eine Künstlerin. Ku Erh-niang (顧二娘) bekam viele Aufträge, zu denen die Auftraggeber die rohen Steine beisteuerten. Sie war jedoch dafür bekannt, daß sie den Aufrag ablehnte, falls der Rohstein nicht von genügend hoher Qualität war. Ihr "Bananenblätter"-Tuschstein (siehe Bild 2) ist ein exzellentes Beispiel ihrer meisterlichen Arbeit. Aus einem hochqualitativen Tuanhsi-Stein hergestellt, scheinen sich die Bananenblätter in ganz natürlicher Form um den Tuschstein zu ranken und schließen direkt an dem zum Abreiben des Tintenstabes verwendeten Teil an.

Es gibt praktisch keinen Tuschstein in Lins Sammlung, der es nicht wert wäre, erwähnt zu werden. Zu den ältesten Exemplaren gehören zwei Steine aus der Sung Dynastie. Einer stammt aus dem ehemaligen Besitz von Su Shih (蘇軾), einem der herausragendsten Gelehrten nicht nur der Sung Zeit, sondern höchstwahrscheinlich der gesamten chinesischen Geschichte. Er gilt als einer der "Vier Meister der Kalligraphie der Sung", wie auch als einer der "Acht Meister des Essays der T'ang und Sung". Dieser Tuschstein (siehe Bild 3) für sich ganz allein würde bereits das Glanzstück jeder Kollektion darstellen. Andere Tuschsteine verdienen ebensoviel Aufmerksamkeit, wie etwa der aus dem Besitz der bekannten Dichterin der Sung Dynastie, Li Ch'ing-chao (李清照) stammende Tuschstein, oder der des Wen Cheng-ming (文徵明), einer der" Vier Meister der Malerei der Ming" und ferner jener, den Yüan Mei (袁枚), der berühmteste Poet der Ch'ing Dynastie verwandte. Jeder dieser Steine ist mit einer von seinem ehemaligen Besitzer eigenhändig angefertigten kalligraphischen Inschrift versehen.

Die Mannigfaltigkeit und Fülle von Lins Kollektion läßt jedoch nicht bloß auf die der Familie Lin zur Verfügung stehenden finanziellen Ressourcen schließen, sondern auch auf Lin Po-shous eigenes erstklassig fundiertes Kennertum. Obwohl Lin vor zwei Jahren verstarb und die weitere Bestimmung seiner Kollektion noch nicht geklärt ist, offenbart sie - persönlich besichtigt, oder in der ausgezeichneten Publikation des Nationalen Palastmuseums betrachtet - den Kunstfreunden in aller Welt, warum der chinesische Tuschstein als einer der "Vier Schätze des Scholaren" tituliert wird.

(Deutsch von Bernhard Führer)

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